(Lesezeit: 3 Minuten)
Das Ziel der Psychotherapie ist: sich besser zu kennen und freier zu handeln.
Psychotherapie wirkt, indem sie
- gezielt und systematisch neue Erfahrungen ermöglicht
- dazu beiträgt, unbewußte, lebensgeschichtlich „gewachsene“ Bestrebungen und Gefühlsreaktionen besser zu erkennen.
Diese Bestrebungen und Reaktionen gehen dadurch nicht weg, sie führen aber nicht mehr „automatisch“ zu Gefühlen und Entscheidungen, sondern man hat dann „ein Wörtchen dabei mitzureden“, ob und inwieweit sie über das eigene Leben bestimmen.
Neuronale Netzwerke
Die lebensgeschichtlich bedingten Bestrebungen und Reaktionen sind im impliziten, nicht bewußtseinsfähigen Gedächtnis festgeschrieben. Das Gedächtnis besteht aus neuronalen Netzwerken:
Nervenzellen, die zusammen aktiviert werden, werden miteinander verbunden. So entstehen Netzwerke. Je öfter ein Netzwerk aktiviert wird, desto stärker wird es, desto leichter wird es aktiviert und desto schneller schaltet es andere Netzwerke ab (reziproke Hemmung).
Reziproke Hemmung
Verschiedene neuronale Netzwerke können nicht gleichzeitig gleich stark aktiviert sein. Die stärksten Netzwerke werden am schnellsten aktiviert und am dominantesten: sie „hemmen“ die andern Netzwerke. Anders wäre z.B. Konzentration nicht möglich. (Menschen, die unter dem ADHS-Syndrom leiden, leiden unter einer unzureichenden „reziproken Hemmung“.)
Das Problem ist: Die Inhalte in den „gehemmten“ Netzwerken können nur noch schlecht in ihrer wirklichen Bedeutung für die aktuelle Situation eingeschätzt werden. Das ist der Grund, warum wir manchmal so handeln, daß wir hinterher fluchen: „Ich könnt mich in den Arsch beißen! Ich wußt es doch eigentlich besser! Warum hab ich das trotzdem gemacht!?“ – „Niemand tut das Schlechte freiwillig“, sagten schon die antiken Philosophen und führten das Böse darauf zurück, daß die „sittliche Einsicht“ aus dem Blick geraten sei…
Neuronale Netzwerke werden nicht mehr abgebaut. Deshalb können wir nichts verlernen. Psychotherapie unterstützt sie aber dabei, neue neuronale Netzwerke aufzubauen, die die alten, problematischen Netzwerke wieder „runterfahren“, wenn sie aktiviert wurden. Das sieht etwa so aus: Die alte Angst versucht wieder zu lähmen – d.h. die gerade aktivierten Netzwerke zu hemmen, sie wird aber durchschaut (bzw. verstanden), es wird Entwarnung gegeben und damit kann die Tätigkeit weitergeführt und das Angstnetzwerk gehemmt werden.
(Mehr dazu im Artikel über Angst.)
Schemata
Die neuronalen Netzwerke erzeugen auch Emotionen: Wer einen zickigen Vater hatte, wird unterschwellig sofort genervt sein, wenn ein Vorgesetzter ins Zimmer kommt, der äußerlich an den Vater erinnert. Diese „Reaktionsbereitschaft“ nennt man „Schema“: „immer wenn das und das der Fall ist, muß ich damit rechnen, daß das und das geschieht!“ – Die Psychoanalytiker nennen es „Übertragung“.
Psychotherapie unterstützt Menschen dabei, solche Schemata zu entdecken und einer „Realitätsprüfung“ zu unterziehen. – Das muß oft geschehen, denn die schematischen Reaktionen fallen im Bewußtseinsstrom meist gar nicht auf und sind mit einem überwältigenden Gefühl der „Richtigkeit“ und „Stimmigkeit“ verbunden, als könne es gar nicht anders sein, daß ein Mann der so aussieht wie der Vater, genauso bescheuert ist…
Natürlich machen sich Schemata nicht nur an Äußerlichkeiten fest, sondern an Ähnlichkeiten jeder Art. Gab ein zickiger Vater z.B. immer Ratschläge, kann auch eine Ratschlag gebende Cheffin das Gefühl auslösen, daß sie bestimmt eine ganz gemeine Zicke ist…
Ziele
In den neuronalen Netzwerken sind die Ziele definiert, die unser Verhalten leiten. Wir fühlen uns erst zufrieden, wenn wir diese Ziele erreicht haben. Das kann ein kulinarisches Lusterlebnis sein („ich muß aber noch was essen, das war heute noch nicht so toll wie sonst“) oder ein „Identitätsziel“ („ich muß da nochmal auftrumpfen, ich fühle mich noch nicht so anerkannt, wie mir das entspricht und zusteht!“).
Natürlich laufen solche Prozesses meist nicht bewußt ab, denn sonst könnten wir „ein Wort mitreden“, z.B.: „So´n Quatsch, das kann mir doch egal sein, ob die mich toll finden oder nicht!“ – Hier sieht man schon, wie Therapie durch „Klärung“ (Bewußtmachung) die Freiheit vergrößern kann.
Solche Ziele nennt man „motivationale Schemata“: Immer wenn das und das aktiviert ist, hat die arme Seele nicht eher Ruhe, bis sie das und das erreicht hat.
(Das sind stark vereinfachte Zusammenfassungen von Ausführungen aus: Klaus Grawe, Psychologische Psychotherapie.)
Weiterlesen: Wikipediaeintrag zu Klaus Grawe