Rückfallgeschichte

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Teurer Wein – eine Rückfallgeschichte, wie Betroffene sie sich erzählen

„In dir wird immer etwas bleiben, das gedreht werden will, ob du willst oder nicht. Und es spielt keine Rolle, ob du noch nachvollziehen kannst, was an der Umdrehung toll sein soll. Es will. Und es ist ihm völlig egal, was du willst, und es braucht dein Bewußtsein nicht dafür, sich zu holen, was es will, und es ist schneller als du: Eh du begriffen hast, was abläuft, ist es bereits längst dabei, die Umdrehung in die Wege zu leiten. Und mit jeder zugeschalteten Nervenzelle wird mehr von deinem Widerstand ausgekuppelt, lahm gelegt, abgeschaltet.

Du sagst dir z.B.: „ Ich brauch ein Geschenk, ich glaub, ich geh doch mal am kleinen Weinladen vorbei, ich glaub, ich bin mittlerweile stabil genug, einen Wein als Geschenk auszusuchen! Zudem gehe ich ja bloß ans Schaufenster, ich hab ja gar keine Zeit, rein zu gehen!“ – Du gehst hin und entdeckst einen neuen, vielversprechenden Wein. Du denkst: „Schade, daß ich den nicht mehr probieren kann! Wie blöd, daß ich´s übertrieben habe und abstinent leben muß!“

Du gehst zur Arbeit. Immer wieder schießt Dir in den Kopf: „Zu dumm, ich hätte doch gerne wenigstens noch diesen Wein probiert gehabt! – Tja, aber da kann man nichts machen, trinken ist nicht mehr drin.“

Kurz vor Feierabend ertappst du dich bei Gedanken wie: „Bin ich nicht vielleicht doch ein wenig zu überkandidelt, wenn ich mir wirklich jeden Schluck Alkohol verbiete? Ist es wirklich schon so weit mit mir? Woher will man das denn wissen? Ich weiß ja, daß ich aufpassen muß. Aber wenn ich mir jetzt nur diese eine Flasche kaufe und heute abend genieße – was soll denn da passieren?“ – Du weist diese Zweifel an der Abstinenz immer wieder zurück, du hast es oft genug ausprobiert und bist auf die Schnauze gefallen. Ja, du gehst in die Offensive: Du zeigst dir einen Vogel, weil du tatsächlich gedacht hattest, daß es für einen abstinenten Abhängigen harmlos sei, Wein als Geschenk für jemand anderes zu kaufen, und du schmunzelst sogar, weil dir klar wird, was du da gemacht hast: du wolltest dich austricksen! – Stattdessen denkst du an die Vorteile der Abstinenz und genießt die Vorstellung, am Abend unbeeinträchtigt durch den Alkohol deinen eigentlichen Interessen nachgehen zu können. Der Plan, noch mal zu dem Weinladen zu gehen, kommt dir jetzt völlig abwegig vor.

Auf dem Weg nach Haus, kurz vor der Station wo man aussteigen muß, wenn man in den Weinladen will, findest du es dann plötzlich doch eine gute Idee, Wein zu verschenken. Du denkst: „Na, warum denn nicht! Gerade jetzt, wo ich eine so lebendige Vorstellung von den Vorteilen der Abstinenz habe, wo es mir so leid täte, mir mit Alkohol den Abend zu versauen, gerade jetzt ist es doch kein Problem, in den Laden zu gehen für ein Geschenk – zumal wenn ich es gleich als Geschenk verpacken lasse.“ – Doch du verwirfst den Gedanken erneut und denkst: „Ach, ist doch eigentlich doof, es gibt doch genug andere Geschenke!“

Die Bahn hält, die Tür ist schon eine Zeit offen, da denkst du: „Wein ist doch das bessere Geschenk!“ und springst im letzten Augenblick raus. – Du gehst in das Geschäft, holst dir zwei Flaschen von dem Wein, läßt ihn gar nicht erst einpacken, fährst mit dem Taxi nach Hause, ziehst nicht mal die Schuhe aus sondern wirfst dich gleich mit der ersten geöffneten Flasche aufs Sofa…

Im Taxi gingen dir noch viele Gedanken durch den Kopf: „Wahrscheinlich wäre es besser, den Wein dem Fahrer zu schenken – Schadensbegrenzung. – Ne, das wär zu schade! Ich muß es nur irgendwie schaffen, es mir einzuteilen und nicht alles auf einmal zu trinken! – Scheiße, das mit dem Einteilen hab´ ich die letzten Male immer versucht, aber nie geschafft – na, aber irgendwie muß ich da jetzt durch, vielleicht klappt das Einteilen heute ja doch mal! – Aber aus welchem Grunde sollte heute eigentlich klappen, was schon so lange nicht mehr geklappt hat? Und ist es das Risiko wirklich wert?“ – – Es fiel dir auch auf, daß du keine Vorfreude spürtest, sondern Beklommenheit. Genuß geht anders. Zudem warst du enttäuscht, weil aus dem Abend, wie du ihn geplant hattest, nichts wurde. Du stelltest verwundert fest, daß es dir aber dennoch unannehmbar schien, auf den Alkohol zu verzichten. – Dir war zwar klar, daß es eigentlich noch viel blöder ist, nicht auf etwas verzichten zu wollen, auf das du dich nicht freust, das dir den Abend kaputt macht und unkalkulierbare Risiken birgt. Aber du beschwichtigtest dich: „Na komm, dies eine Mal noch! Vielleicht geht es danach mit der Abstinenz sogar besser, weil es dann einen Wein weniger gibt, der mir entgeht, das erleichtert den Abschied!“ Insgeheim dachtest du aber: „Ist doch eigentlich kein Argument: Es wird immer interessante neue Weine geben! Irgendwann werde ich so oder so darauf verzichten müssen, einen interessanten neuen Wein zu probieren – also warum nicht jetzt?“ – Doch das Gefühl, daß es närrisch wäre, ausgerechnet jetzt mit dem Probieren aufzuhören, wo du dir gerade zwei teure Flaschen Wein gekauft hattest, war stärker: „Wieso soll ich dieses eine Mal nicht noch mitnehmen, das wäre doch Prinzipienreiterei, Dreihundertprozentigkeit, ich bin doch kein Musterknäbchen! Was soll denn passieren, wenn ich mir dieses eine Mal noch gestatte – und vielleicht geht sowieso noch ein paar Mal, vielleicht ist es noch gar nicht so weit, ganz aufhören zu müssen…“

Das Beste, was dir nach so einer Nummer noch passieren kann, ist, daß dein Chef am andern Morgen deine Fahne riecht und dich feuert. – Falls du nicht gefeuert wirst, wird es bloß schlimmer: Der Rückfall wird zum Präzedenzfall: „Na ging doch!“ Es wird immer häufiger „Rückfälle“ geben und früher oder später wird der Chef dich doch feuern. Bis dahin hast du aber auch noch deinen Führerschein verloren, deine Freundin hat sich getrennt, und die Nutten haben dir im Suff deine Ersparnisse abgeknöpft.“